Informiert, vernetzt, auf Augenhöhe: Die Patientenschaft im 21. Jh.

Alexie Barthelemy

Jedes Jahrhundert ist und war von spezifischen Entwicklungen und Trends im Gesundheitswesen geprägt. Ein besonders interessantes und vergleichsweise junges Phänomen ist die veränderte Rolle der Patientenschaft. Letztere sind heutzutage dank eigenen Internetrecherchen oder Gesundheits-Apps (Mobile Health) mehr denn je über Gesundheitsthemen und vor allem über den eigenen Gesundheitszustand informiert. Dies bedeutet gleichzeitig veränderte Rahmenbedingungen für den Arztbesuch bis hin zur Kommunikation und Hierarchie zwischen Ärzteschaft und Patient:innen.

Soziokulturelle und medizinische Aspekte der Patientenschaft 2.0

Die moderne Medizin und ihre Professionalisierung begann im 19. Jh. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. gelingen bahnbrechende wissenschaftliche Fortschritte. Wir können vom Zeitalter der Ärzte und Ärztinnen und der Forschung sprechen. Gleichzeitig wurde das Gesundheitswesen allmählich im grossen Stil organisiert und zunehmend demokratisiert.

Das 21. Jahrhundert bringt nun mit der veränderten Rolle der Patient:innen eine weitere spannende Entwicklung und Fortschreibung des Anspruchs eines demokratischen Gesundheitswesen mit sich: Patient:innen erheben Anspruch auf transparente Informationen und fordern Mitspracherecht, wenn es um die Behandlung geht. Diese Haltung ist dabei unter anderem auf die allgegenwärtige Verfügbarkeit von sogenannten On Demand-Quellen (Internet) zurückzuführen. Die Patientenschaft kann sich heute selbst ein Bild machen von ihrer Krankheit und den unterschiedlichen Therapieformen und ausserdem tauschen sich Patient:innen zunehmend mit anderen Betroffenen in Internetforen aus.

Aus verängstigten, unwissenden Patienten, die ihrem Arzt blind vertrauen, werden allmählich Partner werden, die mit dem Arzt gemeinsam Entscheidungen treffen.”

(Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin. Aufbruch in ein transparentes Gesundheitswesen Gerd Gigerenzer/J. A. Muir Gray, 2011) ​​

Herausforderungen für die Arztpraxis

Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind auch Ihnen schon sogenannte «E-Patient:innen» in der Praxis begegnet, also Patient:innen, die sich mittels Internet über ihre Symptome und Diagnosen belesen (haben).
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung in Deutschland hat ergeben, dass 58 Prozent der Befragten sich vor ­einem Arztbesuch und 62 Prozent danach im Internet informieren. Demgegenüber stehen 30 Prozent der Ärzteschaft, die sich zumindest teilweise über die Eigen­initiative ärgern. Die Ärztinnen und Ärzte stehen also vor der Herausforderung, die informierten Patient:innen gekonnt abzuholen und in die Behandlung einzubinden.

 

Der Patientenschaft Angst nehmen und Vertrauen schaffen

Vorinformierte Patient:innen mit einer bereits festgefahrenen Meinung können für die Arztpraxis eine wirkliche Herausforderung sein. Mediziner:innen können sich gar in ihrer Kompetenz angegriffen fühlen. Da liegt es nahe, die Patient:innen aufzufordern, sie sollen doch das Googeln einfach lassen. Ein Rat, der aber meist nicht viel bringt. Besser ist es zu verstehen, warum Patient:innen überhaupt im Internet nach Rat suchen. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass das Googeln von Krankheits­symptomen vor allem der Angstbewältigung dient. Es ist also eine Bewältigungsstrategie des Patient:innen, mit dem Unwissen in Bezug auf eine (vermutete) Krankheit umzugehen. Hier muss die Ärzteschaft mit einer transparenten Kommunikation die Patient:innen abholen. Das schafft langfristiges Vertrauen.

 

 

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Zwischen Nachfragen und Vermitteln

Besonders das Anamnesegespräch ist zentral, um vorinformierte Patient:innen in die Therapie miteinzubeziehen. Es kann passieren, dass der Patient/die Patientin versucht, den Arzt/die Ärztin zu “steuern” und von seiner Diagnose zu überzeugen. Die Ärzteschaft muss hier ein Mittelmass finden: Alle Schlüsselsymptme wirklich abfragen, auch wenn der Patient/die Patientin diese als unwichtig erachtet, da er/sie bereits zu glauben weiss, was ihm/ihr fehlt. Auf der anderen Seite sollte die Ärzteschaft den Patient:innen auch zeigen, dass sie es schätzt, dass diese sich aktiv einbringen und informieren möchten.

Die Schweizerische Ärztezeitung empfiehlt:

Zum Beispiel kann der Arzt nachfragen was der Patient bereits alles über die Krankheit herausgefunden hat, und dessen Wissen ­abholen. Oder er beauftragt ihn z.B., seine Blutwerte in eine Tabelle einzutragen, und übergibt ihm somit Verantwortung.

Informierte Patient:innen und ihr Mehrwert für die Arztpraxis

Auch wenn ein Grossteil der Ärzteschaft dank Google vorinformierte Patient:innen als schwierig einstuft, ist es wichtig sich mit der neuen Rolle der Patient:innen auseinanderzusetzen. Zum einen, weil der Tendenz zur informierten Patientenschaft langfristig noch weiter zunehmen wird, aber auch weil informierte Patient:innen schlichtweg einen Mehrwert für die Arztpraxis schaffen können. Denn vorinformierte Patient:innen sind engagiert und interessiert. Wenn Ärztinnen und Ärzte es schaffen, diese Patient:innen mit all ihren Ängsten und Fragen abzuholen, dann schaffen sie ein echtes Vertrauensverhältnis und haben mit den Patient:innen sogleich Partner:innen an der Hand, auf die sie bei der Therapie zählen können!

Wie gehen Sie im Praxisalltag mit diesen dank dem Internet informierten Patient:innen um? 

 

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